Das zentrale Imfpzentrum des Kreises Kleve liegt für Kerkener gute 50 Fahrminuten entfernt in Kalkar. Die Verwaltung hatte für Menschen, die nicht selbst oder von Familienangehörigen dorthin gefahren werden können, eine Mitfahrbörse eingerichtet. Von den Erfahrungen eines Kerkener Impflings berichtet die Rheinische Post Gelderland in ihrer Ausgabe vom 17.2.2021.
Zum Impfen nach Kalkar
Mit Chauffeur zum Pieks ins Wunderland
Impfling Josef Reuvers (l.) wurde von Günter Nebelung zum Impfzentrum nach Kalkar und wieder zurückgefahren. Vor Ort stiegen sie in einen Shuttlebus. RP-Foto: Markus van Offern Foto: Markus van Offern (mvo)
Nieukerk/Kalkar Das Impfzentrum für den Kreis Kleve hat am 8. Februar seinen Betrieb aufgenommen. Seitdem müssen alle über 80-Jährigen irgendwie nach Kalkar kommen. Josef Reuvers aus Kerken nutzt den Fahrdienst der Gemeinde.
Jeden Samstag lässt sich Josef Reuvers ein Bad ein. Sein Ritual, wie er sagt. In der Zeit zwischen 16 und 19 Uhr ist er für niemanden mehr erreichbar. Freunde und Bekannte wüssten das. Doch für die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein hat der Rentner nun eine Ausnahme gemacht. Statt in die Badewanne geht es für den 83-Jährigen zum Impfen ins Wunderland nach Kalkar. Von Nieukerk aus, wo Reuvers mit seiner Frau Anne-Maria lebt, sind es 43 Kilometer hin und 43 Kilometer zurück. In Kalkar befindet sich das einzige Impfzentrum für den gesamten Kreis Kleve. Er hat also keine Wahl. Darum verzichtet er aufs Bad und macht sich auf den Weg.
Gleich am ersten Tag, als die Kassenärztliche Vereinigung die Leitung freigeschaltet hat, habe er zum Telefonhörer gegriffen, um einen Termin zu vereinbaren. Stundenlang habe er die Wahlwiederholungstaste gedrückt. Keine Chance, erzählt er. Einmal sei ein Freizeichen zu hören gewesen, aber kurz darauf sei er wieder aus der Leitung geflogen. „Ich dachte schon, mein Telefon ist kaputt“, erzählt Reuvers. Irgendwann habe er aufgegeben. Am Nachmittag habe es dann seine Frau versucht – und hatte Glück: „Ich konnte gleich beide Impftermine für meinen Mann ausmachen“, berichtet sie. Sie selbst sei zu jung. „Ich werde erst im Mai 80.“ Bis dahin heißt es für sie warten.
Reuvers hat ein Problem: Sein Impftermin ist um 19.20 Uhr, aber er weiß nicht, wie er hinkommen soll. Er hat keine Kinder, die ihn fahren könnten, und sein Schwager, sagt er, sei nur ein Jahr jünger als er und werde von seinem Schwiegersohn gebracht. Außerdem sei das ein elendig langer Weg, den wollte er niemandem aus seinem Umfeld zumuten. Er selbst sei zwar noch fahrtüchtig, aber diese Strecke traue er sich auch nicht zu, besonders nicht im Dunkeln. Hinzu komme, dass es vor einer Woche heftig geschneit habe und nicht alle Straßen seien frei. „Außerdem weiß man nie, wie man sich hinterher fühlt“, sagt Reuvers.
Seit mehr als 50 Jahren lässt er sich gegen Grippe impfen. Bislang sei immer alles gut gegangen. Er sei froh, dass so schnell ein Mittel gegen dieses „dämliche Virus“ gefunden worden sei, und er könne nicht verstehen, dass sich manche nicht impfen lassen wollten. „Es ist die einzige Alternative“, sagt Reuvers. „Das Virus ist zu gefährlich, als dass man damit warten könnte.“ Also hat er etwas unternommen und sich bei der Mitfahrzentrale der Gemeinde Kerken angemeldet.
Günter Nebelung wohnt ebenfalls in Nieukerk, nicht weit von Reuvers’ Haus entfernt. Auch er möchte sich impfen lassen, doch auch er muss warten, bis er an der Reihe ist. Nebelung ist 70 – zu jung, um bei der ersten Impfwelle dabei zu sein, aber alt genug, um anderen zu helfen, sich impfen zu lassen. Als er erfährt, dass ehrenamtliche Fahrer gesucht werden, die die über 80-Jährigen zum Impfzentrum chauffieren sollen, meldet er sich bei der Gemeinde. Das Kümmern liegt ihm im Blut. Seit Jahren engagiert er sich in der evangelischen Kirchengemeinde und der Gefärdetenhilfe der JVA Pont.
Pünktlich auf die Minute klingelt es bei Reuvers an der Tür. Nebelung ist da, also Masken auf und kurze Begrüßung. Reuvers Frau kann nicht mit. Im Impfzentrum ist ohnehin nur eine Begleitperson erlaubt. Außerdem sei sie nicht gut zu Fuß. Reuvers holt seine Jacke. Die Unterlagen hat ihm seine Frau fein säuberlich abgeheftet: die Impfeinladung, sein Impfpass, die Anamnese-Einwilligung, der Aufklärungsbogen, und, nur zur Sicherheit, seine Medikamentenliste. Man weiß ja nie.
Nebelung ist mit seinem Privatauto gekommen, ein VW Golf. Geld bekommt er keines für seine Dienste, auch kein Spritgeld. Der Fahrdienst ist reine Nächstenliebe. „Sie haben die freie Auswahl“, sagt er zu Reuvers. Zielstrebig läuft der zur hinteren, rechten Tür und lässt sich von Nebelung beim Einsteigen helfen. Besorgt bleibt seine Frau an der Haustür zurück und blickt den beiden hinterher. Sie habe nicht gut geschlafen, erzählt sie. „Hoffen wir mal, dass alles gut geht.“
Nebelung schaltet das Navi ein und fährt über die Landstraße durch Sevelen, Issum, Alpen, vorbei an der Bislicher Insel und Xanten, bis er nach einer knappen Stunde den Schildern Richtung Impfzentrum folgen kann. Je näher er dem Wunderland kommt, desto voller wird es. Auf dem Parkplatz herrscht trotz der späten Stunde und eisiger Temperaturen um die fünf Grad minus noch reger Betrieb. Ein paar Hundert Meter weiter steigen die beiden gemeinsam in den Shuttlebus, der sie in das 450 Meter entfernte Impfzentrum bringt.
Nach einer Stunde kehren sie zurück. Alles sei wie am Schnürchen gelaufen. „Nur auf dem Warteflur war meines Erachtens ein bisschen viel los“, meint Reuvers, der sich kein bisschen schlecht fühlt. „Es geht mir gut, von der Impfung merke ich nichts.“ Eine Viertelstunde habe er nach dem Piekser abwarten müssen, dann durfte er gehen. Als Geschenk gab es ein „Priemelchen“ mit einem Gruß von Landrätin Silke Gorißen. Als Reuvers im Auto sitzt, ruft er als erstes seine Frau an, um ihr mitzuteilen, dass es alles in Ordnung ist. Am nächsten Tag, es ist Valentinstag, schenkt er ihr die Blumen.
In drei Wochen muss Reuvers erneut auf sein Bad verzichten, dann wird die zweite Impfung fällig. Und wieder wird ihn Günter Nebelung fahren.
Quelle
Rheinische Post Verlagsgesellschaft
Ausgabe Gelderland
Mittwoch, den 17. Februar 2021